(die 7 Audio-Fragmente, markiert im Text hierunter, sind einer Aufnahme der Aufführung vom Residentie Orchester unter der Leitung von Lucas Vis entnommen worden; der MP3-Spieler links vermittelt den Anfang des Werkes in einer Live-Aufnahme der Rotterdam Philharmonisch Orkest u.d.L.v. Otto Ketting)
Zur niederländischen Uraufführung am 5. Juli 1956, durch das Concertgebouworkest u.d.L.v. Eduard van Beinum, verfasste Vermeulen folgende Erläuterung:
"An einem Junitag des Jahres 1919, frühmorgens, unterwegs zwischen Watergraafsmeer und den Arbeitsplatz in Amsterdam, bei der Zeitung De Telegraaf überfiel mir die Idee zur Zweiten Symphonie. Dieser Überfall kam wie ein heftiger Blitzeinschlag, und meiner Meinung nach kennt wohl jeder solch eine Erfahrung. Der einzige Unterschied zwischen dem Künstler und seinem Mitmenschen liegt m.E. darin, dass der Erste sich nach solch einer Verklärung an die Arbeit setzt, der Zweite dagegen sich nicht davon beeinflussen lässt, aber nur die Erinnerung daran als eine der unvergesslichen Momente seines Lebens aufbewahrt. Also machte ich mich an die Arbeit um die Symphonie aber erst Ende 1920 fertigzustellen.
Damals erwarteten die Meisten, dass eine neue Morgenröte die verdunkelte Welt überragen würde, was man sich auch heute noch erhofft. Aus den Reflexen, welche solch eine Erwartung in jemandes vertrauensvolle Gemüt hervorrufen kann, entstand diese Symphonie; deswegen bekam sie den Titel Prélude à la nouvelle journée. Sie ist wie eine Vorahnung der Zukunft und blickt nicht zurück, sondern nur vorwärts. Dieser innerlichen Verfassung zufolge entwickelt sich das musikalische Geschehen in fünf Episoden, welche ohne Unterbrechung nacheinander folgen. Wechselweise wirken sie aktiv und kontemplativ, sowie der normale Übergang vom Tat zum Traum und wiederum vom Traum zum Tat. Jede der fünf Episoden besteht aus unterschiedlichem Material, welches, obwohl immerfort sich ändernd, sich dennoch auf den Grundgedanken bezieht.
Am Anfang der Symphonie erscheint über einem Lärm zusammenprallender Rhythmen, prägnant hervortretend, das 'unternehmende' Hauptthema, das sofort ausgearbeitet, strukturell festgelegt und bestätigt wird, um es als Ausgangs- und Brennpunkt weiter zu verwerten.
Es liegt in seiner Struktur, dass der Geist, von so starken Emotionen betroffen, sich einige Zeit über das Geschehen in Verwunderung besinnt, wonach auch Gefühle von Leidenschaft, von Verträumtheit, Erwartung und Unruhe sich melden, während tief in seinem Inneren ein unbestimmtes Gerücht 'summt', dass ihn völlig aufwühlt.
Es versteht sich, dass hierauf, in der dritten Episode, eine erneute Aktivität hervorbrechen muss. Anfangs scheint sie ungeordnet, wie eine improvisierte Invokation mittels frei ausschweifenden Melodien, wozwischen Fragmente des Hauptthemas auftauchen. Allmählich gestalten sie ihr 'Miteinander' über eine treibende Melodie im Bass, ebenso invokativ profiliert. Sie erklingt, samt ihrem Echo, diverse Male hintereinander, und ihr dringendes Rufen führt zu einer Steigerung von Kraft und Trieb, welche während ihrer Kulmination plötzlich endet.
Damit erklärt sich, dass die Gewalt der Anrufung plötzlich in eine andere Bewusstseinslage und ein anderes Nachsinnen umschlägt. Ihre Intonation wirkt sehnlicher und bewegter. Eine Reihe Gesänge, allmählich friedlicher werdend, führt zu einem Zustand der Ruhe und der klaren Aussicht.
Leise setzt an dieser Stelle, die fünfte Episode ein: eine schnelle Farandole. Immer forteilend und sich andauernd variierend, verwandelt sie sich allmählich in eine Dithyrambe, in der Traum und Tat sich gleich sind, beide erfüllt und vollendet.
So verläuft der psychologische Entwicklungstrakt, der die Struktur und die Expressivität dieser Symphonie bestimmt hat. Es gibt keine Opposition, keinen Konflikt zwischen den beiden Energiequellen: Tat und Traum. In gegenseitigem Austausch eines gleichen Lebensstroms,der hinundher fliessend stätig wächst, ergänzen sie sich."